Agile Methoden prägen die Zukunft

Datum
15.06.2022

Warum agile Methoden künftig nicht nur die IT-Branche, sondern alle Wirtschaftssektoren durchdringen werden.

Agile Methoden sind mehr als ein kurzlebiger Trend der IT-Branche. Mit der demografischen Entwicklung und der Veränderung unserer Arbeitswelt wird Agilität alle Wirtschaftssektoren durchdringen und sogar produzierende Industriebetriebe stark beeinflussen.

Nach der klassischen kaufmännischen Datenverarbeitung, deren Ursprünge in die 1970-Jahre zurückreichen und die insbesondere in Verwaltungseinheiten mit grösseren strukturierteren Datenmengen wie der Steuerverwaltung, dem Strassenverkehrsamt sowie Banken und Versicherungen zu einer ersten Digitalisierungswelle geführt hatte, und nach der zweiten Welle, die in den letzten 1,5 Dekaden zu grossen Datenmengen in Zusammenhang mit persönlichen Benutzerdaten geführt hat (Internet, Facebook, soziale Medien), stehen wir nun vor der dritten Welle, die Bereiche wie IoT, KI, selbstfahrende Fahrzeuge usw. umfassen wird. Allein diese dritte Welle ruft nach einer grossen Anzahl ICT-Fachspezialisten, die zum immer noch steigenden Bedarf durch die erste und zweite Welle dazukommt, denn auch hier nimmt der Zug der Digitalisierung weiter Fahrt auf.

Heute würde niemand mehr eine Bank gründen, die dann digitalisiert wird. Heute gründet man besser ein IT-Unternehmen (bspw. Apple), das noch Bankdienstleistungen anbietet (z.B. Apple Pay). Für Unternehmen im Dienstleistungssektor liegt dieser Wandel auf der Hand. Aber selbst vorwiegend physisch produzierende Industrieunternehmen oder Fahrzeugproduzenten wie Volkswagen wandeln sich zunehmend zu Plattform- und Digitalisierungsunternehmen. So besteht bspw. ein klassischer VW-Golf noch aus 10’000 physischen Teilen und ein paar wenigen Zeilen Code. Ein elektrisch betriebener Golf besteht hingegen nur noch aus lediglich 3’000 physischen Teilen und dafür aus Millionen Zeilen Code. Der Wandel von der «Physik» in den «Code» ist unumkehrbar, und nicht zuletzt deshalb prognostiziert das WEF: «Software is eating the world!»


Beherrschung der Komplexität mit agilen Methoden
Ein klassischer VW Golf besteht aus 10’000 Teilen. Ohne die Theorie zu erörtern oder zu plausibilisieren, kann der maximale Komplexitätsraum eines solchen Produktes wohl auf 10’000! fest-gemacht werden (Fakultät1 von 10’000). Beim elektrisch betriebenen Golf kommen aber noch ein paar Millionen Zeilen Code dazu, und so nimmt der Komplexitätsraum rasch eine unendliche Dimension an. Auch wenn viele dieser Beziehungen – wie beim klassischen VW Golf – nicht relevant sind, so ist eben doch die Komplexität codeenthaltender Systeme um Faktoren höher als diejenige klassischer, technisch-mechanischer Systeme. Dies bedeutet auch höhere Gesamtrisiken. Beidem, der Komplexität und den Risiken, kann durch Fragmentierung begegnet werden («how to eat an elephant»). Die Risiken und die Komplexität eines einzelnen Fragments werden plötzlich beherrschbar, bedingen aber andere Vorgehensmethoden als in der Vergangenheit – eben agile Methoden.

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 1 Fakultät von 3 – geschrieben 3! – ist 1×2×3=6, 4!=1×2×3×4=24, 5!=120. Die Fakultät wächst schneller als jede Exponentialfunktion.


Wo Schatten ist, muss auch Licht sein
Wenn fast alles Code ist, kann auch rascher produziert und korrigiert werden. Bei einem klassischen VW sind Fehler in der Entwicklung in der Regel mit einer Rückrufaktion verbunden. Im Falle eines E-Fahrzeuges werden «over the air» einfach ein paar Codezeilen nachgereicht (Tesla bietet Hurrikan-Opfern mehr Akku – wie geht das?).

Veränderung der Arbeitswelt – veränderte Erwartungen der Generationen Y und Z
In der Frühzeit waren Arbeitende im besten Fall Ausgebeutete oder Leibeigene, meistens waren es Unterjochte oder Sklaven. Mit dem Aufkommen der Dampfmaschine und der Industrialisierung wurden Arbeitende zu Ausführenden, Charlie Chaplins Film «Modern Times» charakterisiert das ironisch, aber treffend. Mit dem Wandel hin zur Dienstleistungsgesellschaft, der breiten Anwendung wissenschaftlicher Methoden und dem allmählichen Einsatz der EDV wurden Arbeitende vermehrt zu Wissensarbeitenden. Dieser Wandel ist nicht abgeschlossen. In Zukunft jedoch werden Arbeitende sinnsuchende Orchestrierende sein, die vielfältige Ansprüche und Interessen (Familie, Beruf, Freizeit, Ausbildung, soziales Engagement) unter einen Hut zu bringen versuchen. New Work, Hybrid Work, Shared Leadership, Lernkultur und agile Collaboration sind mehr als nur Phrasen. Es sind Indizien eines tiefgreifenden Wandels unserer Arbeitswelt und unserer Gesellschaft. Wie zu Zeiten des Bauernstandes haben wir nun wieder die Gelegenheit, Arbeits- und Lebensmittelpunkt örtlich zu verbinden, um den vielfältigen Ansprüchen gleichermassen gerecht zu werden. Dabei müssen wir auf Arbeitnehmende, die wegen fehlender Sozialkontakte vollständig in die Arbeit abdriften, ebenso achtgeben wie auf solche, die zulasten des Arbeitgebenden nur ihr Freizeitverhalten optimieren. Letztendlich braucht es einen neuen Vertrauensvertrag zwischen Arbeitnehmenden und Arbeitgebenden, der den beidseitigen Ansprüchen, Erwartungen und Bedürfnissen gerecht wird.

Demografische Entwicklung
Im Jahr 2025 wird in der Schweiz die Nachfrage nach Arbeitskräften über alle Berufsgruppen hinweg grösser sein als das Angebot. Es wird mehr Stelleninserate als Arbeitslose geben. In der ICT kennen wir das schon länger. Der Ausdruck Fachkräftemangel ist nicht erst seit gestern ein geflügeltes Wort. Heute fehlen in der Schweiz bereits einige 10’000 ICT-Fachkräfte, und bis 2028 wird der ICT-Markt in der Schweiz rund 120’000 neue Fachkräfte brauchen. Da sind die rund 40 Lernenden, die die Bedag ausbildet, ein willkommener Beitrag, aber nicht einmal ein Tropfen auf den heissen Stein. Die Situation wirkt umso erschreckender, wenn wir beachten, dass wir gerade erst den Kinderschuhen der Digitalisierung entwachsen sind und die grosse Digitalisierungswelle erst noch bevorsteht. Mehr Digitalisierungsspezialisten werden künftig einen sehr viel grösseren Arbeitsberg abarbeiten müssen, sie werden in allen Branchen gefragt sein, selbst in der Landwirtschaft. Das geht nur, wenn wir alle schneller werden und unsere Arbeitsmenge steigern können. Dafür ist Agilität eine wichtige Basis und infolgedessen eben mehr als eine Mode. Es ist eine unumkehrbare Entwicklung, die zuerst die Technologiebereiche durchdringt, aber danach auch vor den klassischen Dienstleistungsarbeitenden, soweit diese nicht rein physische Dienstleistungen erbringen, nicht haltmachen wird. Sie wird unsere Tätigkeit in den nächsten zwei Dekaden tiefgreifend und grundlegend durchdringen und verändern. «Mehr Volumen in weniger Zeit» bedeutet aber auch, dass wir hochgradig automatisieren müssen und Gutes gut genug sein muss. Perfektion geht nur noch in wenigen und kritischen Bereichen, wie bspw. bei Software für Medizinsysteme oder Bereiche der Luftfahrt.

Werden dadurch klassische Methoden in der ICT obsolet?
Nein, natürlich nicht, was wir in den nächsten Jahren als Kompetenz erwerben müssen, ist die sogenannte Beidhändigkeit oder Ambidextrie und damit unsere Kompetenzen, sowohl in klassischen Strukturen und Prozessen wie auch in agilen Formen arbeiten zu können.

klassisch agil

Die klassischen Kompetenzen müssen durch agile Kompetenzen aktualisiert und «à jour» gehalten werden. Umgekehrt benötigen agile Kompetenzen die Zuverlässigkeit und Struktur der klassischen Kompetenzen, um eine Planungs- und Umsetzungssicherheit zu gewährleisten.



Selbst in Technologieunternehmen gibt es immer wieder Tätigkeiten und Tätigkeitsgebiete, bspw. den Service Desk oder die Massenverarbeitung, die klassisch, d.h. projektmässig oder streng prozessual, sehr effizient bearbeitet werden können und den agilen Methoden in diesem Bereich überlegen sind. Die Gefahr für diese Bereiche liegt, da sie weniger komplex sind, langfristig jedoch in deren Automatisierung (Rise of the Robots: Technology and the Threat of a Job-less Future, Martin Ford).

Agil und klassisch arbeiten Hand in Hand.

Was heisst das für Sie als Kunde?
Im Gegensatz zur Bedag, bei der ICT Haupt- und nicht Nebenzweck ist, werden Sie in Ihrem Kerngeschäft immer über stark prozessuale Tätigkeitsgebiete verfügen, die nach klassischen Methoden effizienter funktionieren, bspw. im Spital mit der Pflege oder bei der Steuerverwaltung mit der Veranlagung. Daneben werden Sie agile Organisationseinheiten haben, die zugunsten eben dieser prozessualen Bereiche die Digitalisierung und Automatisierung mit agilen Methoden voranbringen müssen. Das Wort «müssen» ist bewusst gewählt, denn die eingangs erwähnte demografische Entwicklung wird innerhalb einer Dekade auch in diesen traditionellen Bereichen zu grossem Personalmangel führen. Für Sie als Kunde und insbesondere für Ihr Management heisst das noch viel mehr, dass Sie die Beidhändigkeit beherrschen und die sprichwörtlich breite Klaviatur mit beiden Händen bedienen müssen. Der damit einhergehende kulturelle und operative Wandel der Unternehmen, der sogenannte Change, kann nicht überschätzt werden.


Fred Wenger, CEO der Bedag

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