Agile@SV – agile Zusammenarbeit mit der Steuerverwaltung für mehr Effizienz

Datum
28.06.2021

Seit über einem Jahr arbeitet die Bedag mit der Steuerverwaltung des Kantons Bern nach agilen Projektmethoden. Welche Erfahrungen damit gemacht wurden, lesen Sie in diesem Interview.

Seit einem Jahr arbeitet die Bedag mit der Steuerverwaltung des Kantons Bern nach agilen Projektmethoden. Wir haben bei Pascal van Gelderen, Leiter ICT Applikationen & Systeme der Steuerverwaltung, und André Herren, Agile Teamleader des Geschäftsfelds Steuern der Bedag, nachgefragt, welche Erfahrungen sie gemacht haben.

Was war denn der Grund, in diesem Projekt nach agilen Methoden zu arbeiten?
Pascal: Seitens Steuerverwaltung (SV) haben wir fünf ganz konkrete Ziele, die wir mit dem Projekt Agile@SV erreichen wollen:

  • Bessere Zusammenarbeit von Fachabteilung und IT
  • Kürzere Durchlaufzeiten und damit schnellere Ergebnisse
  • Höhere Effizienz dank einem gezielten Fokus auf die Themen mit dem höchsten Mehrwert
  • Bessere Qualität der Software
  • Höhere Transparenz bezüglich aktueller Themen und Umsetzungszeitpunkten

André: Eine agile Vorgehensweise hilft uns, in kürzester Zeit auf Änderungen der Kundenanforderungen und der Umwelt reagieren zu können. Gerade bei der Entwicklung von Software ändern sich Anforderungen regelmässig und kurzfristig. Auf einen wichtigen Punkt möchte ich zu Beginn hinweisen: Häufig stellt man sich unter Agilität reine Softwareentwicklerteams vor. Im Fall von Agile@SV besteht die agile Organisation jedoch aus einem Netzwerk von unterschiedlichen Firmen und Organisationen, welche eine „virtuelle Organisation“ bilden, das NESKO-ART. Damit dies funktioniert, muss der Agile Mindset jeden vom einzelnen Entwickler, Business Analysten, HR, Linienvorgesetzte bis in die Führungsetage durchdringen. Das bedeutet, dass sich alle beteiligten Organisationen mit Agilität auseinandersetzen und diese auf allen Ebenen leben müssen.

Wie muss man sich den Start vorstellen? Was habt Ihr konkret unternommen?
Pascal: Zuerst einmal haben wir in der SV eine ICT- und Digitalisierungsstrategie ausgearbeitet und verankert, damit wir eine klare Grundlage haben. Eines der strategischen Handlungsfelder der Strategie war der Aufbau einer agilen Softwareentwicklung bei der SV. Für diese Transformation haben wir Kernteams aus Mitgliedern aller Geschäftsbereiche und Vertretern unseren Softwarepartner gebildet. Dann haben wir ein Pilotteam nach Scrum aufgebaut und natürlich auch erst die Teammitglieder nach Scrum geschult. Aus den Erfahrungen des ersten Teams folgte dann das Staffing weiterer fünf Teams innerhalb von acht Monaten. Es folgte die Einführung einer skalierten Form der Agilität nach dem Framework von SAFe (Scaled Agile Framework®) inklusive der Besetzung der strategischen Rollen wie Release Train Engineer und Product Manager sowie der Schulung des gesamten agilen Trains vor dem Start des ersten Plannings. Wir haben eigens eine Gruppe von Personen zur Verbesserung des Setups und der Methodik des ART (Agile Release Train) etabliert. Diese Gruppe nennt sich LACE (Lean-Agile Center of Excellence). Der ART wird zudem von agilen Coaches methodisch unterstützt.

André: Um den neuen Anforderungen von Agile@SV gerecht zu werden, haben wir seitens Bedag das Geschäftsfeld Steuern umgekrempelt. Konkret sind wir von einer hierarchischen Linienorganisation innerhalb des Geschäftsfelds in ein flaches holokratisches System übergegangen. Bestehende Rollen haben sich verändert, neue sind dazugekommen. Klassische Teamleiter beispielsweise gibt es in dem Sinne keine mehr. Bei der täglichen Arbeit werden die Teams von den Scrum Mastern der virtuellen Organisation in methodischen Belangen unterstützt. Die personelle Verantwortung hingegen wurde über das gesamte Geschäftsfeld Steuern einer Rolle zugetragen. Interessenkonflikte in den Rollen Teamlead, Fachlead und Scrum Master sind in dieser Konstellation eher unwahrscheinlich und jeder kann sich auf sein Fachgebiet konzentrieren.

Was waren die ersten Erkenntnisse in der Startphase?
Pascal: Unsere ersten Erkenntnisse waren positiv, aber der Einstieg in diese Arbeitsweise ist intensiv und ein schneller Takt zwingt zur Fokussierung auf das Wesentliche. Dabei wird der Arbeitsfortschrift aber unmittelbar sichtbar und die agile Arbeitsweise zeigt sofort, ob das Zusammenspiel im Team funktioniert oder nicht. Wir haben damit viele spannende und vielseitige Aufgaben geschaffen. Dabei braucht es Mut zum Pragmatismus, auch Fehler machen zu dürfen. Die Abstimmung mit Stellen ausserhalb der agilen Welt ist herausfordernd (Verfügbarkeit, zeitliche Abstimmung) und zu guter Letzt ist der Kulturwandel nicht zu unterschätzen – dieser braucht mehr Zeit als ein paar Monate.

André: Ich habe diese Frage dem Team gestellt und ein sehr differenziertes Feedback erhalten. In der Startphase war sicher die «Anfangseuphorie» eindrücklich. Das Team fand sich mit der neuen Arbeitsmethodik rasch zurecht. Es war aber nicht allein der Wechsel der Methodik, sondern vor allem das fortlaufende Anpassen und Optimieren, das uns schneller und effizienter werden liess. Insgesamt den grössten Nutzen brachte sicher das Zusammenführen zu crossfunktionalen Teams aus der Steuerverwaltung und der Bedag.

Wo steht Ihr heute in der agilen Transformation und was sind die merkbaren Veränderungen gegenüber der „alten Welt“?
André: Wir sind viel näher zusammengerückt. Die tägliche Arbeit findet mit Kolleg:innen aus den unterschiedlichen Abteilungen und Organisationen statt. Dank den kurzen, zweiwöchigen Planungsiterationen können auch kleine Fortschritte ausgewiesen werden, was für alle Beteiligten motivierend wirkt. Der Agile Mindset ist zwar bereits angekommen, man darf ihn aber noch breiter abstützen und ihn tiefer in die beteiligten Organisationen vordringen lassen.

Pascal: Wir stehen heute bei 10 Teams und rund 130 Beteiligten im ART. Wir haben somit die maximale Grösse eines sinnvoll geführten ARTs erreicht. Die Zusammenarbeit zwischen Fachabteilungen und IT hat sich spürbar verbessert. Auch konnten wir schon erste Erfolge bei Themen mit hohen Businessnutzen vorweisen.

Was sind die Herausforderungen heute?
Pascal: Da gibt es einige. Sei es die Sicherstellung von genügend Ressourcen zur richtigen Zeit und am richtigen Ort oder die laufende methodische Optimierung im ART. Aber auch hier gehen wir iterativ vor und planen kleine Verbesserungen und setzen diese um. Immer nach dem Motto: Stillstand ist Rückschritt.

André: Jederzeit die richtigen Ressourcen am richtigen Ort in einer Organisation von dieser Grössenordnung verfügbar zu haben, ist nicht einfach. Zudem möchte man den Teams so viel Freiraum wie möglich geben, muss dabei aber berücksichtigen, dass die Teams im skalierten Kontext nicht autonom sind. Die Rollen aller Beteiligten müssen sicher immer wieder nachgeschärft und hinterfragt werden. Der Aufwand, eben genau diese Kultur des ständigen Hinterfragens und Verbesserns aufrechtzuerhalten, ist nicht zu unterschätzen.

Wagen wir einen Blick in die Zukunft. Welche Vision habt Ihr für das NESKO-ART?
André: Die Zuordnungen der Teammitglieder und Kosten sind noch relativ starr – jeder hat seinen Platz entsprechend der Organisation im „Hintergrund“ und der aktuellen Aufgabe. Gibt es Veränderungen, treten überall Fragen auf. Unsere Zukunft liegt unter anderem in der Selbstständigkeit. Dazu müssen die Organisationen Rahmenbedingungen schaffen, welche eine hohe Selbstständigkeit der Teams ermöglichen. Wenn zudem die Teams die Maturität und das Vertrauen haben, fortlaufend selbst entscheiden zu können, in welcher Konstellation, mit welchen Ressourcen, welchem Benutzer-Feedback, welchen Hilfsmitteln und welcher Methode die bevorstehenden Herausforderungen gemeistert werden können, dann sind wir einen grossen Schritt weiter im Kreislauf der Agilität.

Pascal: Es ist wichtig zu verstehen, dass unsere agile Reise nicht am Ende ist, sondern erst vor Kurzem gestartet ist. Themen wie der Kulturwandel in Richtung Agile Mindset und die Befähigung des ART werden weiterhin im Zentrum unserer Bemühungen stehen. Zudem müssen wir auch noch Verbesserungen in den Schnittstellen von und zum ART vornehmen. Alles mit dem Ziel, möglichst effizient und in guter Qualität Mehrwert für unsere internen und externen Kunden sicherzustellen.

Ein wunderbares Schlusswort. Vielen Dank, Pascal und André, für das aufschlussreiche Interview.

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